Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

Nie wieder? Ich hoffe es.

Am 5. Mai 2025 saß ich mit START-StipendiatInnen und Schülern der HTL Rennweg im Bundesversammlungssaal des Österreichischen Parlaments. Ich war dort, um an der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus teilzunehmen. Ganz ehrlich? Ich dachte anfangs: Wird das wieder so eine trockene, staatliche Sache mit Reden und Blumen und höflichem Applaus? Aber was ich dort erlebt habe, war anders. Es war heftig. Es war bewegend. Und es hat mich verändert.

Ich bin 19. Ich habe keine Großeltern, die mir Geschichten vom Krieg erzählen konnten. Sie sind 2009 verstorben. Mein Geschichtsunterricht war… okay, aber viel zu oft Zahlen und Daten. 1939 bis 1945, der Holocaust, Konzentrationslager, Hitler. All das sind Begriffe, die man kennt. Aber was es wirklich bedeutet, was Menschen durchgemacht haben, wie grausam Menschen sein können – das wurde mir erst an diesem Tag richtig klar.

Die Veranstaltung begann mit einem Filmausschnitt über Schloss Hartheim. Ich hatte im Geschichtsunterricht davon gehört. Eine NS-Tötungsanstalt. Klingt schon wie ein Alptraum. Aber was dort wirklich passiert ist, sprengt alle Vorstellungen: 30.000 Menschen ermordet, systematisch, geplant, „ausgesondert“ – weil sie behindert waren, psychisch krank, alt, „nutzlos“ für das Regime. Menschen, die Pflege gebraucht hätten, wurden vergast. Ermordet. Einfach so. Weil jemand entschieden hat, dass sie nicht mehr wert seien.

Dann kam die Lesung von Kristina Sprenger. Sie hat aus Biografien von Opfern vorgelesen. Ich habe bis dahin nie so genau über „Einzelschicksale“ nachgedacht. Aber da saß ich und hörte von Helene Adler, die mit 51 Jahren ermordet wurde, nachdem sie Jahre in einer Psychiatrie verbracht hatte – völlig vergessen von der Welt. Oder Vera Pour, von der die eigene Familie jahrzehntelang nicht wusste, dass sie von den Nazis getötet worden war. Es war still im Saal, richtig still. Die Worte trafen einen wie Schläge. Ich habe mich oft gefragt: Was hätte ich damals getan? Hätte ich was gemerkt? Hätte ich widersprochen?

Später kam die Podiumsdiskussion. Da saßen Menschen, deren Eltern oder Urgroßeltern in Hartheim ermordet wurden. Johann Andre, Wolfgang Schuhmann, Marianne Schulze. Echte Menschen, echte Geschichten. Herr Schuhmann erzählte, wie sein Vater das einzige bekannte Foto vom Rauch des Krematoriums gemacht hat – durch ein Schweinestallfenster. Ich meine: Was für ein Mut! Und dann kämpft er nach dem Krieg jahrzehntelang, um Anerkennung für den Widerstand. Und kriegt sie erst nach seinem Tod.

Ich dachte währenddessen: Wie kann man bei so etwas wegsehen? Wie konnte so etwas passieren? Aber die Antwort ist eigentlich traurig einfach. Es beginnt immer leise. Mit einem Witz, mit einem „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, mit Wegsehen. Und irgendwann wird daraus ein ganzes System der Grausamkeit.

Was mich wirklich fertig gemacht hat, war der Satz von Lucia Bellolo, 96 Jahre alt, deren Vater in Hartheim ermordet wurde: „Jetzt ist für mich Schloss Hartheim ein gewisser Kontakt mit meinem Vater.“ Ich dachte: Wie schlimm muss das sein, seinen Vater zu verlieren, so brutal, und dann jahrzehntelang nichts Genaues zu wissen? Und doch sitzt sie da, mit fast 100 Jahren, und kämpft immer noch für Erinnerung. So viel Kraft. So viel Würde.

Die Reden der Politikerinnen und Politiker – besonders die von Peter Haubner und Andrea Eder-Gitschthaler – waren anders, als ich erwartet hatte. Persönlich. Klar. Nicht dieses übliche Politiker-Geschwafel. Sie haben gesagt, wie wichtig es ist, dass gerade wir jungen Menschen Bescheid wissen. Dass wir verstehen, was passiert ist – nicht um Schuld zu übernehmen, sondern Verantwortung. Dass wir laut sind, wenn wieder Hass aufkommt, wenn Menschen ausgegrenzt werden. Dass Demokratie nicht vom Himmel fällt. Dass wir hinschauen müssen. Immer.

Ich bin rausgegangen aus dem Saal und habe mich anders gefühlt. Wacher. Wütender. Trauriger. Aber auch motivierter. Ich hab’s wirklich gespürt: Gedenken ist nicht einfach Vergangenheit anschauen. Es ist die Frage, was wir heute daraus machen!

Ich werde meine Freunde fragen, ob sie schon mal in Mauthausen waren. Oder in Hartheim. Ich werde vielleicht selbst ein Projekt in der Schule vorschlagen. Und wenn ich je Kinder habe, werde ich ihnen erzählen, was ich an diesem Tag erlebt habe.

Es gibt diesen Spruch, den ich mir aufgeschrieben habe: „Vergiss uns nicht, die wir hier getötet wurden, denn das Vergessen des Bösen ist die Erlaubnis zu seiner Wiederholung.“ Genau darum geht’s. Und das muss jeder wissen.

Nie wieder? Ja. Aber nur, wenn wir was dafür tun!

Autor: Mehmet Emin CIMENLI